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Wien 21.07.2021

Mietmonitor: Wiener Durchschnittsverdiener kann sich nur noch 29 Quadratmeter leisten

  • Sujetfoto: AndreyPopov, istockphoto.com

Schon vor der Corona-Krise konnten sich Normalverdiener in Wien nur noch Kleinstwohnungen leisten, zeigt eine Studie des Instituts für Raumplanung an der TU Wien. In ihrem interaktiven Mietmonitor haben die Forscher das Angebot privater Mietwohnungen analysiert und alarmierende Ergebnisse zutage gebracht.

 

Für den Mietmonitor nahmen die Forscher 10.300 Immobilienangebote aus Inseraten im Immobilien-Portal von derstandard.at der Jahre 2011 bis 2019 unter die Lupe. Dabei zeigte sich, dass Durchschnittseinkommen für einen großen Anteil der Wohnungen am privaten Mietsektor nicht mehr ausreichen. Der durchschnittliche Einpersonenhaushalt kann sich gerade einmal 29 Quadratmeter Wohnfläche leisten – weniger als die laut Wiener Bauordnung zulässige Mindestgröße von Wohnungen (30 Quadratmeter).

 

>> Mietmonitor für Wien

Die Forscher verglichen das verfügbare Netto-Haushaltseinkommen mit den Monatsmieten und gingen von einer Leistbarkeitsgrenze von 30 Prozent aus. Der Befund: In den meisten Wiener Bezirken hat sich die Situation seit 2011 deutlich verschlechtert.

»Für einen durchschnittlichen Einpersonenhaushalt mit 1.640 Euro Nettoeinkommen wäre nur ein Fünftel der inserierten Wohnungen leistbar«, erklärt Projektleiter Justin Kadi. Auch Familien mit vier oder fünf Personen, die zwar im Schnitt über ein höheres Einkommen verfügen, aber auch größere Wohnungen brauchen, ist nur jedes fünfte private Angebot überhaupt leistbar.

Was braucht es für eine Trendwende? Fair Wohnen sprach mit Mietmonitor-Projektleiter Justin Kadi über die Gründe für die steigenden Mieten in Wien, die zunehmende Verdrängung von Durchschnittsverdienern in der Stadt und nötige Reformen im Mietrecht (siehe Interview).

 

»Ohne umfangreiche Mietrechtsreform wird es nicht gehen«

 

Wohnforscher und Mietmonitor-Projektleiter Justin Kadi im Interview mit Fair Wohnen.

 

Fair Wohnen: Die Mieten im privaten Sektor steigen seit 20 Jahren doppelt so stark wie die Einkommen – das macht Wohnen in Wien für viele kaum noch leistbar. Ihr Mietmonitor zeigt nun auch sehr plastisch, wie schwierig die Situation für Normalverdiener geworden ist. Woran liegt es, dass die Schere zwischen Mieten und Löhnen immer weiter aufgeht?


Justin Kadi: Um das zu verstehen muss man in die Zeit Mitte der 1990er Jahre schauen. Damals wurde das bundesweite Mietrecht liberalisiert. Für Vermieter wurde es dadurch sehr viel leichter, höhere Mieten für Wohnungen am privaten Markt zu verlangen. Die Einführung vom Richtwertmietzinssystem, Befristungen und Lagezuschlägen waren dafür zentral. Viele Vermieter haben das ausgenützt. Der private Markt hat sich so von einem relativ preiswerten Teil des Wohnungsmarkts, das er Anfang der 1990er war, zu einem Hochpreissegment gewandelt. Seit der Finanzkrise strömt zusätzliches Kapital in den Sektor, auf der Suche nach schneller Rendite. Das verstärkt den Druck auf die Mieten, da die neuen Eigentümer diese Rendite nur durch Mieterhöhungen erwirtschaften können. Gleichzeitig spielt auch die hohe Nachfrage eine Rolle. Wien wächst und der Bedarf nach Wohnraum wird vom sozialen Sektor nicht ausreichend gedeckt. Viele Haushalte müssen daher auf den privaten Markt ausweichen, was Vermietern ermöglicht, hohe Mieten zu verlangen. Schließlich haben wir die Situation, dass die Realeinkommen für untere und mittlere Einkommensgruppen in den letzten 15 Jahren de facto stagniert sind. Die schlechte Leistbarkeit spiegelt also zu einem Teil auch Probleme des Arbeitsmarkts wider.


Wie ließe sich dieser Trend wieder umkehren? Was braucht es, damit sich ein Durchschnittsverdiener Wohnen im privaten Sektor wieder leisten kann?

 

Ohne eine umfangreiche Mietrechtsreform wird es nicht gehen. Es braucht wieder eine rigidere Form der Mietzinsfestsetzung. Das Richtwertmietzinssystem gehört reformiert. Gleichzeitig sollte auch die Möglichkeit für befristete Mietverträge wieder eingeschränkt werden. Oft sind es nämlich befristete Verträge, die zum Motor für Mieterhöhungen werden. Denn innerhalb von bestehenden Mietverträgen ist es im österreichischen Mietrecht vergleichsweise schwierig, Mieten zu erhöhen. Das geht vor allem mit einem neuen Vertrag. Wenn nun alle paar Jahre der Vertrag ausläuft, da er befristet ist, öffnet das Mieterhöhungen Tür und Tor. Auch die Lagezuschläge müssten wohl überdacht werden. Gerade in zentrumsnahen Lagen sind  sie ein wichtiger Faktor, dass die Mieten heute für viele schwer leistbar sind. Neben diesen Maßnahmen zur stärkeren Regulierung des privaten Markts braucht es mehr sozialen Wohnungsbau um Druck aus dem Markt zu nehmen. Dann haben private Vermieter auch weniger Spielraum, hohe Mieten zu verlangen. Aktuell wird ja viel gebaut in Wien. Man wird in den nächsten Jahren sehen, ob es auch  ausreichend Wohnungen für untere und mittlere Einkommen sind, oder ob vor allem im hochpreisigen Segment gebaut wird. Das wird nicht helfen.

Am Stadtrand scheint Wohnen – abgesehen von den klassischen Villengegenden – tendenziell günstiger zu sein. Lassen sich anhand des Mietmonitors auch Verdrängungseffekte in der Stadt erkennen?


Innerhalb des Gürtels ist es mittlerweile für Haushalte mit Durchschnittseinkommen nur mehr sehr schwer möglich, eine private Mietwohnung zu finden, die nicht einen Großteil des Haushaltseinkommens kostet. Das zeigt der Mietmonitor recht deutlich. Unsere Analyse zeigt aber auch, dass sich die Leistbarkeit in diesen zentralen Gegenden der Stadt in den letzten 10 Jahren rapide verschlechtert hat. In der Forschung beschreiben wir dieses Phänomen als ausschließende Verdrängung. Ein Haushalt mit Durchschnittseinkommen hätte sich dort vor 10 Jahren noch einige Wohnungen leisten können. Heute ist das Angebot sehr viel kleiner.  Es fällt in der Analyse aber auch auf, dass die Leistbarkeit sich in fast allen Bezirken verschlechtert hat. Möglicherweise umfasst die Verdrängung also mittlerweile sehr viel mehr Gegenden der Stadt, als nur die Bereiche innerhalb des Gürtels.



 

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