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Wien 15.03.2018

"Wie die Häuser innen aussahen, war den Bauherren egal"

  • Historiker Gerhard Halusa; Foto: MVÖ

Historiker Gerhard Halusa erklärt im Interview mit unserem Magazin "Fair Wohnen" die Gründerzeit in Wien.

 

Fair Wohnen: Was ist die Gründerzeit?
Gerhard Halusa: Die Gründerzeit begann mit dem Fall der Wiener Stadtmauer 1850. Der Hof wünschte sich an Stelle der Mauer eine Prachtstraße für Paraden und Festzüge. Daraufhin ist die Ringstraße angelegt worden, entlang derer Prunkbauten wie Oper und Parlament errichtet werden sollten. Für diese Zeit enormer Bautätigkeit waren die Wienerberger Ziegelwerke Hauptlieferanten der Ziegel für die Neubauten. Am Wienerberg haben auch die ›Ziegelbehm‹ gearbeitet. (Anm.: Bezeichnung für Arbeiter aus Böhmen oder Mähren, die in Ziegeleien im Süden Wiens beschäftigt waren.)


Fair Wohnen: Wann endet die Gründerzeit?
Halusa: Mit der Urania wurde 1910 das letzte große Gebäude an der Ringstraße errichtet. Man könnte aber auch ohne weiteres sagen, dass die Gründerzeit bis 1917 gedauert hat. Damals wurden die ersten Mietgesetze erlassen, um zu verhindern, dass Briefe über Delogierungen von den Frauen zu den Soldaten an die Front gelangten. Die Gesetze wurden erlassen, um die Moral der Soldaten im Ersten Weltkrieg zu halten. Bis dahin regierte der freie Markt.

 

Fair Wohnen: Wie wohnte man damals?
Halusa: Wien ist enorm gewachsen, von 1,8 Mio. Einwohnern im Jahr 1900 auf 2,2 Mio. im Jahr 1910. Für die Zuwanderer musste man irgendwo Wohnraum schaffen. Die Maxime bei diesen Mietskasernen lautete: so viel Wohnungen wie möglich auf so engem Raum wie möglich. In manchen Häusern gab es Plumpsklo-Systeme am Gang. Grundsätzlich gab es in den Wohnungen kein Wasser. In einer einfachst möblierten Zimmer-Küche-Wohnung haben oft 6 bis 7 Menschen gelebt. Drinnen hat man sich nur aufgehalten, wenn es notwendig war: Zum Schlafen, Kochen, Essen. Die Mieten sind zwischendurch immer wieder gestiegen, wenn ein Hausherr mehr verlangt hat. Konnte ein Arbeiter nicht zahlen, wurde er delogiert. Es gibt Berichte, wonach Arbeiter drei bis vier Mal pro Jahr umgezogen sind.

 

Fair Wohnen: Wie sah die Stadtplanung in der Gründerzeit aus? Bei uns geht es oft darum, wie man ein solches Viertel abgrenzt.
Halusa: Man hat konzentriert rund um die Arbeitsstätten gebaut, also um Fabriken, Ziegelwerke oder Ähnliches. In Simmering beispielsweise – am Mauthner-Markhof-Grund – gab es eine Fabrik, rundherum eine Vorstadt mit Gründerzeithäusern. Der Bau wurde schematisiert, um so viel wie möglich unterzubringen. Interessant ist, dass diese Häuser von außen nicht so schlecht aussehen. Das liegt daran, dass es bei Wienerberger Kataloge gab, nach denen man Fassadenornamente bestellen konnte. Wie die Häuser innen aussahen, war den Bauherren egal.

 

Fair Wohnen: Warum befinden sich viele der Gründerzeitgebiete entlang des Gürtels?
Halusa: Arbeiter konnten sich das Wohnen innerhalb des Gürtels – des ehemaligen Linienwalls – nicht leisten, deshalb hat man gleich außerhalb gebaut. So hatten es die Arbeiter nicht so weit zu ihren Fabriken. Die vornehmen Villen standen weiter weg, etwa in Hietzing. Das war ein Erholungsgebiet, wo Reiche mit ihren Kutschen hingefahren sind.

 

Fair Wohnen: Wie würden Sie als Historiker erheben, ob sich in einer gewissen Wohnumgebung ursprünglich mangelhaft ausgestattete Wohnungen befanden?
Halusa: Man sieht das meist an der Bauweise der Wohneinheiten. Die Zimmer-Küche-Einheiten für Arbeiter lagen Wohnung an Wohnung. Wenn die Anlage Gangküche-Zimmer nebeneinander liegt und eine Verbindung besteht, dann waren das zwei Arbeiterwohnungen, die später zusammengelegt wurden. Für vornehme Leute wurde anders geplant, mit 5-6 Zimmern. Es gab einen Eingangsbereich, einen Salon, eventuell ein WC und 3, 4 Räume.

 

Gerhard Halusa ist Stadthistoriker am Österreichischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum (Vogelsangg. 36, 1050 Wien). Das Museum widmet dem Thema ›Leben und Wohnen in Wien‹ eine Dauerausstellung.

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